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Fédération Internationale de Domino (FIDO)

 

Domino-Coach Lindemann

Volkstümliches Schummeln beim Steinelegen

Stein an Stein, wie man das aus Omas Spielkiste kennt: Das verbinden die meisten Menschen mit Domino. Eine verengte Sicht, jedenfalls meinen das der 55-jährige Webdesigner Frank Lindemann und seine Freunde. Sie haben sich organisiert in der »Fédération Internationale de Domino«, kurz: FIDO, mit amtlichem Sitz in Schwerin.
Welche Pläne die Domino-Profis, die im August 2014 ihr zehnjähriges Verbandsjubiläum feiern, für die Zukunft haben, wie der nächste Weltmeister ermittelt wird und was überhaupt so toll sein soll an ihrem vordergründig simplen Spiel, das erfährt der Hamburger Autor René Gralla im Interview mit FIDO-Frontmann Frank Lindemann. Das nachfolgende Interview ist in stark gekürzter Form von der Tageszeitung »neues deutschland« veröffentlicht worden.

RENÉ GRALLA: Sie betreiben Domino als ernsthaften Turniersport. Ist Ihr Spiel dafür aber nicht viel zu simpel? Schließlich muss man dabei doch nur relativ stumpf Steine aneinanderlegen, und zwar an bereits abgelegte Steine auf die Weise, dass der abzulegende Stein angelegt wird mit derjenigen Seite, welche die identische Augenzahl aufweist wie der Stein, an den angelegt werden soll!
FRANK LINDEMANN: Die Spielweise, die wir über unseren Verband FIDO propagieren, ermittelt die Punktezahl der offenen Enden, und wenn diese durch einen gegebenen Divisor restlos teilbar ist, erhält der Spieler den Quotienten gutgeschrieben. Da wird also mehr gefordert, als bloß die Augenzahl erkennen zu können. Hinzu kommt, dass die beschriebene besondere FIDO-Spielweise bloß eine Variante verschiedener Spielmöglichkeiten des Domino ist. Doch selbst die klassische Anlegevariante – ohne die Rechenaufgaben der FIDO – , die im spanischen Sprachraum verbreitet ist, erfordert ein Training, wie es bei uns mit dem Skatspiel vergleichbar wäre.

R.GRALLA: Wie wird denn der besagte Divisor ermittelt, mit dem die FIDO arbeitet?
F.LINDEMANN: Der Divisor kann von jeder Spielrunde frei gewählt werden. In der Praxis folgt man allerdings den Vorgaben, die wir auf der FIDO-Website unter dem Link Regeln veröffentlicht haben. Ansonsten sollte der Divisor natürlich nur so gewählt werden, dass es nicht zu einfach wird zu punkten – das wäre der Fall zum Beispiel beim Divisor 2 –, weil das Spiel dann ja langweilig werden würde.

R.GRALLA: Was ist – abgesehen von der Extraschikane des Divisors – die besondere Herausforderung des Domino? Kann man auch Strategien dabei anwenden?
F.LINDEMANN: Aber ja! Selbst Punkte zu erzielen ist ja immer mit dem Wunsch verbunden, die Mitspieler genau daran auch zu hindern. Wenn man beispielsweise viele Dominosteine mit der gleichen Zahl auf der Hand hat, fehlen eben diese logischerweise bei den anderen. Legt man nun immer diese Zahl als Ende aus, haben die Mitspieler Schwierigkeiten, dort anzulegen, und sie müssen im schlimmsten Fall einen Stein aus dem Stoß ziehen. Bei der FIDO-Spielweise ist überdies auch noch entscheidend, ob die Spielrunde aus einer geraden oder ungeraden Anzahl Teilnehmerinnen und Teilnehmer besteht, weil derjenige, der nach einem punktenden Spieler an der Reihe ist, größere Probleme bekommt, selbst zu punkten.

R.GRALLA: Steht aber nicht der Umstand, dass Domino stark vom Glück determiniert wird – man ist ja abhängig davon, welche Steine man beim Mischen abkriegt –, dem Umstand entgegen, dass man das als ernsthaften Denksport anerkennen kann?
F.LINDEMANN: Während beim langweiligen Schach die Spielfiguren alle immer gleich und bekannt sind, muss sich ein Dominospieler auf die unzähligen verschiedenen Ausgangsbedingungen einstellen, die ihm der Zufall des Steineziehens in die Hände spielt. Ein Doppel-18er-Spiel besteht aus 190 Steinen, und die Chance, dass man zweimal die gleiche Kombination an Steinen zieht, tendiert gegen Null.

R.GRALLA: Wann haben Sie persönlich entdeckt, dass Domino mehr ist als ein simples Daddelspiel im Familienkreis? Was war insofern Ihr persönliches Aha-Erlebnis?
F.LINDEMANN: Als meine damalige Freundin die Spielweise aus ihrem Bekanntenkreis vorstellte, die wir dann später als FIDO weiter zu verbreiten begonnen haben.

R.GRALLA: Und wann haben Sie überhaupt das erste Mal Domino gespielt?
F.LINDEMANN: Als Kind das Anlegedomino, wie es in den Anleitungen zu den damals üblichen Spielesammlungskartons – mein erster Karton enthielt Mensch-ärgere-dich-nicht, Dame, Mühle, Halma, Mikado und Dominosteine – beschrieben wird. Das wurde aber rasch langweilig.

R.GRALLA: Und als Sie später gemerkt haben, dass in Domino mehr drin steckt als bloßes Anlegen von Steinen auf »Sicht«: Wie haben Sie dann angefangen, Domino richtig zu üben?
F.LINDEMANN: Das Training ist einfach: spielen, spielen, spielen.

R.GRALLA: Gibt es Lehrbücher für Domino?
F.LINDEMANN: Für die klassische Dominospielweise, sprich: die Anlegevariante, gibt es spanischsprachige Literatur en masse. Da die aber für unsere Spielweise irrelevant ist, haben wir sie bisher nicht übersetzt.

R.GRALLA: Sind – vergleichbar dem Schach – bestimmte Eröffnungsstrategien ausgearbeitet worden, um im Domino erfolgreich zu sein?
F.LINDEMANN: Bei FIDO-Matches wird gemäß den Regeln eröffnet mit dem höchsten im Spiel befindlichen Doppelstein, das heißt: beide Enden haben die gleiche Augenzahl. Da lässt sich also erstmal nichts variieren. Im weiteren Verlauf entscheidet der Spieler, wann er seine weiteren Doppelsteine einsetzt, die die Anlegemöglichkeiten erhöhen, weil von ihnen aus in drei Richtungen weiter gespielt werden kann. Je mehr Doppelsteine sich auf dem Tisch befinden, desto höher also die Anzahl der offenen Enden und damit auch die Gesamtaugenzahl. Durch frühes oder spätes Legen lässt sich damit der Spielstand beeinflussen. Habe ich nun zu einem Doppelstein den passenden »Trittbrettstein« – wenn der Spieler vor mir punktet, kann ich mit einem Stein, dessen Ende entweder Null oder den Divisor zeigt, an der dritten Anlegemöglichkeit unter Umständen ebenfalls punkten, solange diese Anlegestelle frei ist – , dann bin ich bemüht, die dafür benötigte Anlegestelle frei zu halten, und spiele meinen nachfolgenden Spieler so an, dass die oder der Betreffende diese Stelle gerade nicht benutzen kann.

R.GRALLA: Und kann man im weiteren Verlauf einer Partien bestimmte Strategien verfolgen, um zu gewinnen? Können Sie eine besonders populäre Strategie für den Laien verständlich beschreiben? Tragen die Strategien vielleicht sogar spezifische Namen, analog der beliebten »Hannibal«-Vorwärts-Strategie im Damespiel?!
F.LINDEMANN: Alle Doppelsteine so früh wie möglich zu spielen, um die eigenen Anlegechancen zu erhöhen, das ist eine – wenngleich bisher namenlose – Strategie. Während andere ihre Doppelsteine so lange wie möglich zurückhalten, um den anderen keine hohe Punktezahl zu gönnen.

R.GRALLA: Da jeder seine Steine vor dem anderen wie beim Poker verdeckt hält: Spielt auch der Bluff eine Rolle?
F.LINDEMANN: Die Steine, deren beide Enden die Differenz des Divisors aufweisen, sind quasi Joker für den Fall, dass der Spieler punktet, der vor einem sitzt – dann kann man »mitpunkten«. Wie viele man davon zur Verfügung hat, hält man gern geheim. Auch welche Art Differenz man nicht bedienen kann, behält man besser für sich, damit die anderen einen nicht genau darauf anspielen. Die psychologische Spielführung spielt also durchaus eine Rolle.
Im klassischen Anlegedomino, wo paarweise gegeneinander angetreten wird, ist die Geschwindigkeit, mit der man seinen Zug ausführt, ein Indiz für die Spielmöglichkeiten, die meine Optionen sind. Lege ich nämlich sofort an, wissen alle anderen – sprich: sowohl der Spielpartner als auch die beiden Spielgegner –, dass ich nur einen passenden Stein zur Verfügung habe. Lege ich erst nach einigem Zögern, wissen alle, dass ich mehrere Spielsteine zur Verfügung habe und darum über meinen besten Zug nachdenke – demnach bietet sich hier natürlich die Möglichkeit des Bluffens an, indem ich so tue, als müsste ich grübeln, obwohl ich nur einen einzigen Spielstein einsetzen kann.
Über das betreffende »falsche Nachdenken« hat ein Dominokongress der spanischen »Federación International de Dominó« 2004 in Barcelona einen halben Tag lang diskutiert, ob das künftig nach den Regeln für internationale Turniere verboten oder erlaubt sein solle. Es gab jedoch keine Einigung darüber: Während die Spanier hohe ethische Standards anlegen wollten, um den Dominosport vom Ruch der abendlichen Kneipenbetätigung zu befreien, vertrat die venezolanische Delegation die These, dass Domino ein Sport des Volkes sei, und die Volkstümlichkeit enthielte nun mal auch das Schummeln.

R.GRALLA: Macht es demnach Sinn, gegebenenfalls bestimmte Steine zurückzuhalten und erst später abzulegen?
F.LINDEMANN: Ja, wie schon gesagt, entscheiden die Doppelsteine wesentlich über den Spielverlauf und die Höhe der erzielbaren Punkte. Und die besagten »Jokersteine« – mit der Differenz des gewählten Divisors – möchte man natürlich auch lieber erst anlegen, wenn der Punktestand hoch ist. Da dieser jedoch variiert, ist ein permanenter Überblick über die bereits angelegten Steine notwendig, um den optimalen Zeitpunkt dafür nutzen zu können.

R.GRALLA: Ist eine bestimmte persönliche Haltung wichtig, um im Domino erfolgreich zu sein?
F.LINDEMANN: Das Schöne am Domino ist ja, dass Freundschaften am Spieltisch enden und nach dem Spiel sofort wieder aufleben. Und je nach gerader oder ungerader Spieleranzahl, bleiben bestimmte Freundschaften auch während des Spiels bestehen. Bei all unseren Begegnungen sind immer aber das gute Gespräch, ausreichend Heiß- und Kaltgetränke sowie Gebäck wichtiger als das Spielgeschehen – was von den unsere Turniere besuchenden Neuzugängen ebenso freudig wie überrascht zur Kenntnis genommen wird. Es gibt also keinen Turnierstress bei unseren Veranstaltungen. Wir möchten lediglich die Freude am Spiel hervorkitzeln.

R.GRALLA: Muss man für Domino gut rechnen können?
F.LINDEMANN: Die Beherrschung der Grundrechenarten ist bei unserer Spielweise unumgänglich. Man muss die Differenz zwischen beiden Zahlen auf den Dominosteinen ebenso ermitteln können wie das Teilen der Gesamtaugenzahl durch den Divisor.
Und auch im klassischen Domino, wo für den unbedarften Außenstehenden ja nur passende Enden aneinander gelegt werden, wird ständig mitgerechnet. Die verfügbare Gesamtaugenzahl minus der auf dem Tisch befindlichen Augen und die Augenzahl der eigenen Steine ergibt für den gewieften Dominospieler sofort eine Einschätzung, welche Steine der Partner und die Gegner haben müssen. Entsprechend ist in Kuba, der Dominikanischen Republik und einigen anderen lateinamerikanischen Ländern das Domino ein eigenes Unterrichtsfach, um die mathematischen Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler beim Spiel zu trainieren.

R.GRALLA: Welche persönliche Befriedigung ziehen Sie aus Domino?
F.LINDEMANN: Die Überraschung der Neulinge, wenn sie feststellen, dass das Spiel spannend sein kann, das gute Gespräch, den Kaffee und leckere Kekse bei den Spielrunden.

R.GRALLA: Gibt es – wie im Schach – auch »schöne« Dominopartien?
F.LINDEMANN: Durchaus. Wenn, um ein Beispiel zu nennen, am Ende einer Partie diese niemand beenden kann und alle Spieler noch einmal einen Stein aus dem Stoß ziehen müssen, so dass dann allein noch der bloße Zufall über Glück oder Unglück entscheidet.

R.GRALLA: Wie wird Domino bei ernsthaften Matches gespielt? Mit Uhren? Wie lange dauert eine Turnierpartie im Schnitt?
F.LINDEMANN: Unterschiedlich. In der Schweiz wurden in Analogie zum Schach sogar schon Simultan-Turniere durchgeführt. Bei der Weltmeisterschaft dauert eine Spielrunde cirka 45 Minuten.

R.GRALLA: In Mittel- und Südamerika – und dort gerade in Brasilien – ist Domino äußerst populär, während es in Europa eher als belanglos abgetan wird. Wie erklären Sie sich die Geringschätzung des Domino hierzulande im Vergleich zur Hochachtung gerade in der Türkei und in Mittel- und Südamerika?
F.LINDEMANN: Unter den klimatischen Bedingungen der Subtropen und tropischen Regionen haben Spielmaterialien aus Papier eine geringe Haltbarkeitsdauer, während das Material für Dominosteine – Elfenbein, Knochen, geschnitzte Steine – länger durchhält. Darum sind in unseren gemäßigten Breiten Kartenspiele weiter verbreitet als in den heißen Regionen.

R.GRALLA: Wenn wir es richtig verstehen, haben Sie den Internationalen Dominoverband FIDO gegründet. Ist das nicht ein seltsamer Widerspruch: In Deutschland ist Domino nicht besonders hoch angesehen – und ausgerechnet hier, und dann auch noch im nicht gerade Domino-affinen hohen Norden, nämlich in Schwerin, sitzt der Weltverband?!
F.LINDEMANN: 1993 haben einige Dominospieler mit mir die verrückte Idee gehabt, das Spielgeschehen zu evaluieren und wie beim Schach den Aktiven eine Zahl für ihre Spielstärke zuzuweisen. Um dem Ganzen eine Überschrift zu geben, haben wir in Urlaubsstimmung in Südfrankreich – und zwar durchaus in Anspielung auf den internationalen Schachverband FIDE – entsprechend FIDO für Domino gewählt.
Mit dem Siegeszug des Internets wenige Jahre später hat dieser Jux eine Eigendynamik entwickelt. Die führte zu ersten Kontakten mit spanischen Dominoverbänden, wodurch wir überhaupt erst erfuhren, welche Rolle Domino in anderen Teilen der Welt spielt.
2004 wurden wir von der F.I.D., dem Dachverband der spanischsprachigen Dominospieler, darum gebeten, eine Sektion in Deutschland zu etablieren. Dies haben wir dann gern getan mit der 2004 erfolgten Konstituierung von FIDO Deutschland als eingetragener Verein.

R.GRALLA: Was wollen Sie mit Ihrer FIDO erreichen?
F.LINDEMANN: FIDO ist ja im Prinzip bloß eine Internetseite, auf der die einzelnen Spieler die Ergebnisse ihrer Matches zur Berechnung ihrer jeweiligen Ratingzahl und der sich daraus ergebenden Weltrangliste eintragen. Dementsprechend freuen wir uns zugleich über alle Neuzugänge, die wir durch die Internetseite tatsächlich auch erreicht haben. Politische, wirtschaftliche oder andere Verbandsziele – außer dem Weltfrieden natürlich! – verfolgt eigentlich niemand bei uns.

R.GRALLA: Gibt es einen Masterplan bei der FIDO? Um eine Akzeptanz des Domino als ernsthafter Denksport auf Augenhöhe mit Backgammon, Dame und Schach zu erreichen?
F.LINDEMANN: Jeder möge doch nach seiner Spielfaçon selbst glücklich werden! Wir freuen uns, dass bei skandinavischen Brettspielturnieren inzwischen auch Domino Einzug gefunden hat. Ansonsten hält niemand bei uns etwas von Welteroberungs- und Masterplänen. Wir können uns auch im Stillen darüber freuen, dass rund um den Globus mehr Menschen in Dominovereinen organisiert sind als in Fußballvereinen. Wir sehen aber ein, dass die Übertragung eines Fußballspiels optisch mehr hergibt als eine Dominorunde – weswegen wir die Überbewertung des Fußballs in den Medien wohlwollend tolerieren.

R.GRALLA: Fühlen Sie sich manchmal diskriminiert, weil Experten im Schach – siehe den aktuellen Hype um den jungen neuen Weltmeister Magnus Carlsen aus Norwegen – als clever gefeiert werden? Während ernsthafte Dominospieler entweder ignoriert oder sogar belächelt werden? Geht Ihnen das auf die Nerven?
F.LINDEMANN: Wer ist Magnus Carlsen?!

R.GRALLA: Gibt es Schätzungen, wie viele Menschen in Deutschland allgemein Domino spielen? Und wie viele Menschen Domino organisiert und ernsthaft als Turniersport betreiben?
F.LINDEMANN: Wenn es Schätzungen gibt, dann nicht bei uns. Bisher haben rund 1700 Spieler via »lifetime prevalence« Einzug in die Weltrangliste gefunden, auf der aber nur die aktiven Spieler über den Zeitraum eines Jahres permanent angezeigt werden. Aktueller Stand am 28.2.2014: 127 Aktive.
An der FIDO-Weltmeisterschaft nehmen im Schnitt 60 Leute teil, allerdings leider bisher nur aus Europa, was vermutlich an unseren nicht-existenten Preisgeldern liegt. Dagegen gibt es in der spanischsprachigen Dominowelt bei Turnieren oft richtig Kohle – bis zu 10.000 US-Dollar fürs Siegerpaar –, was für die dortigen Lebensverhältnisse so gut wie ein Sechser im Lotto ist. Entsprechend verbissen wird um Punkte gerungen, und mich haben bei einem Turnier 2005 in Mexiko die Verbotsschilder für Schuss- und Stichwaffen an den Eingängen zu den Spielstätten schmerzlich an die brutale Realität erinnert.

R.GRALLA: Die FIDO richtet »dezentrale« Weltmeisterschaften aus, so lesen wir bei Wikipedia. Was heißt das? Wie funktioniert eine »dezentrale« WM?
F.LINDEMANN: Es fallen keine Reisekosten für die Teilnehmenden an, weil jeder dort spielen kann, wo er sich gerade befindet. Es wird darum auch keine Staatsknete benötigt, und wir entlasten aktiv die Haushalte der Sportministerien.
Der Dominosport ist somit auch basisdemokratisch – einziges Ausschlusskriterium wäre ein fehlender Internetzugang für die Ergebnisübertragung. Das ist de facto in Europa kaum möglich, weil man immer jemanden kennt, der einen mit dem Internet verbinden kann. In Guinea-Bissau sieht das natürlich schlechter aus.
Funktionieren tut die dezentrale WM prima über die Teilnahmebedingungen, die für alle die gleichen Voraussetzungen verlangen. Drei Spielrunden zu fünft, mit wechselnden Sitzordnungen. Das Ganze im Zeitraum zwischen Weihnachten und Neujahr, in dem viele Menschen durch Urlaub entspannt ins Turnier gehen können. Die Ergebnisse werden in die für diesen Zeitraum geöffnete Internetseite eingetragen.

R.GRALLA: Wie werden dann die Ergebnisse der 5er-Turniere, die an verschiedenen Orten ausgetragen werden, zueinander in Beziehung gesetzt und saldiert?
F.LINDEMANN: Die Berechnung der Spielstärke der Spielerinnen und Spieler wird für die Turniere verwendet, wobei die Formel die Höhe des Gewinns, den Abstand zum übrigen Feld, die Häufigkeit des Punktens und einige andere Faktoren berücksichtigt.

R.GRALLA: Ist das dann überhaupt eine echte WM? Müssten dafür nicht alle Teilnehmer an einem Ort gegeneinander spielen – anstatt in einzelnen Grüppchen und verstreut über die Welt getrennte Teilturniere auszutragen?
F.LINDEMANN: Mindestens fünf Leute spielen ja immer gegeneinander. Wer will, kann außerdem vor Ort weitere Spieler einladen, was in Garbsen bei Hannover und in der Nordwestschweiz regelmäßig organisiert wird. So dass dort mehrere Tische mit fünf Personen teilnehmen, die bei jeder Runde auch untereiander wechseln.

R.GRALLA: Noch einmal zum Verständnis – die besagten Matches werden face-to-face ausgetragen? Und nicht per Internet?
F.LINDEMANN: Bei Dominopartien kann man noch die nackte Angst der Mitspieler spüren.
Wir werden wiederholt nach Internetspielmöglichkeiten befragt, wie sie für das klassische Domino in der spanischsprechenden Welt reichlich vorhanden sind, von Nur-so-zum-Spaß bis hin zu Plattformen mit Geldgewinn-Möglichkeiten. Ich bin da sehr reserviert, weil Geld bekanntermaßen den Charakter verdirbt und somit auch die Spielfreude, und ich verweise dann gerne darauf, dass unsere Spielweise – mit der Divisor-Regel der FIDO – noch niemand programmiert hat, jedenfalls habe ich persönlich bisher keine computerisierte Fassung zu Gesicht bekommen. No FIDO-App, sorry – aber wie soll die auch für gutes Gespräch, Kaffee und Gebäck sorgen können?!

R.GRALLA: Die Führungsnation im Domino nach den Regeln der FIDO scheint die Schweiz zu sein – mit zehn Weltmeistertiteln in 19 Jahren, seit der ersten WM 1995. Wie kommt es, dass die Schweiz so stark ist?
F.LINDEMANN: Ich bin dort regelmäßig unterwegs als Coach (lacht). Die WM-Kandidatinnen und -Kandidaten aus der Schweiz haben verinnerlicht, dass für eine erfolgreiche WM-Teilnahme nicht nur das Gewinnen entscheidend ist, sondern das Gewinnen mit hoher Punktzahl. Dies erreicht man durch frühes Legen der Doppelsteine und Anstrengungen, Steine mit hoher Differenz so zu legen, dass die Augenzahl wächst und nicht abnimmt. Wenn dann in einer norwegischen Spielrunde zum Beispiel die Zahlen 77, 75, 66, 55 und 45 als Ergebnisse eintreffen, so ist der Gewinner mit 77 Punkten sicher glücklich, aber der Abstand mit 30 Punkten zum Verlierer ist eher mager. Aus der Schweiz kommen in der Regel Ergebnisse über 100 und einzelne herausragende Gewinner mit sogar über 200 Punkten. Das ist dann bei einer so limitierten Zahl von Matches – bloß drei Runden – als Berechnungsgrundlage schon entscheidend.

R.GRALLA: Seltsam ist doch aber, dass die Schweiz bisher zehn von insgesamt 19 Weltmeisterschaften gewonnen hat – während Mittel- und Südamerika, hallo: wo bleibt die Domino-Nation Brasilien?!, bisher keinmal den Champ der Champs gestellt hat! Obwohl sich gerade in den betreffenden Weltregionen das Domino unglaublicher Beliebtheit erfreut und auf jeden Fall viel populärer ist als hier in Europa! Wie kommt das? Warum hat keines der Länder, die Domino-Hochburgen sind, bisher einen Weltmeister gestellt?
F.LINDEMANN: In den dort populären Spielvarianten gibt es ständig irgendwelche Meisterschaften, allein unsere FIDO-Spielweise mit dem speziellen FIDO-Divisor ist eben nahezu unbekannt.

R.GRALLA: Hapert es vielleicht auch an der Kontaktpflege zwischen FIDO und den spanischsprachigen Domino-Nationen?
F.LINDEMANN: Die Kontaktpflege gelingt uns nur, wenn die Veranstaltungen in Spanien stattfinden. Einmal bin ich nach Mexiko zu einem Dominokongress inklusive Turnier im klassischen Paardomino geflogen. Die Veranstaltung fand statt in einem überwiegend von US-Touristen frequentierten Hotelareal und abgeschirmt von der mexikanischen Bevölkerung, die allein als Servicepersonal vorhanden war. Die damit verbundenen Kosten überstiegen schon als Durchschnittsverdiener meine Möglichkeiten. Heute als selbstständiger Kleinverdiener, der von der Hand in den Mund leben muss, sind mir solche Interkontinental-Reisen gänzlich unmöglich geworden.

R.GRALLA: Unternimmt die FIDO ungeachtet der praktischen Probleme – wie die erwähnte Finanzierung einer Fernreise zu einem Kongress in Lateinamerika – irgendwelche Anstrengungen, um die Kontakte zu intensivieren mit Ländern, wo Domino populärer ist als hierzulande?
F.LINDEMANN: Wenn sich die Gelegenheit bietet, gern. Die letzte Einladung ging vom abchasischen Dominoverband aus zu einem Turnier, wo wir unsere Teilnahme trotzdem freundlich entschuldigen mussten. Acht Wochen später erhielten wir dann noch eine harsche Belehrung der georgischen Botschaft, dass Abchasien keineswegs ein unabhängiger Staat, sondern vielmehr Teil Georgiens sei, weswegen uns keinesfalls erlaubt wäre, der Einladung aus Abchasien zu folgen. Da waren die einschlägigen Geheimdienste wohl noch nicht über unsere Absage unterrichtet worden.

R.GRALLA: Deutschland hat, obwohl hier die FIDO ihren Sitz hat, bisher nur viermal den Weltmeister gestellt – und Sie selber waren Champ im Jahr 1998 –, aber seit über zehn Jahren nicht mehr, der letzte deutsche Weltmeister war Ingo Rickmann 2003. Woran liegts?
F.LINDEMANN: Die wahren deutschen Champions sind zum Jahresende im Berufsstress, weswegen sie oft nicht teilnehmen können. Die anderen deutschen Teilnehmenden sind überwiegend Gelegenheitsspielerinnen und -spieler, während die Schweizer mindestens einmal monatlich und das regelmäßig übers ganze Jahr spielen.

R.GRALLA: Steckt das organisierte Domino in Deutschland demnach in der Krise?
F.LINDEMANN: Armut ist auch im Dominosport Entwicklungshemmnis.

R.GRALLA: Gibt es einen Masterplan gegen die Krise?
F.LINDEMANN: Das Bedingungslose Grundeinkommen wäre ein schöner erster Schritt.

R.GRALLA: Gibt es auch Großmeister und Internationale Meister im Domino? Und welche Normen muss man erfüllen, um einen derartigen Titel tragen zu dürfen?
F.LINDEMANN: Wer mit seiner persönlichen Spielstärkenzahl, Abküzung:»FLADUB«, die 2500 erreicht, erhält auf sechs Monate begrenzt den Titel Großmeister. Der GM-Titel darf aber nur bei fortdauerndem Spielen auf dem Großmeister-Level behalten werden, mindestens einmal im halben Jahr muss die 2500-Marke geknackt werden.
Hingegen wird man Internationaler Meister, kurz: IM, bei Erreichen der 10.000-Marke nach dem »FLADUB«-System, und dies ist dann auch ein lebenslang gültiger Titel. Letzteres gelingt in der Regel nur Spielerinnen und Spielern, die das Doppel-18er-Spiel mit den entsprechenden 190 Steinen beherrschen und das auch regelmäßig pflegen.
Wenigstens muss sich derjenige, der IM geworden ist, fortan nicht mehr um den Großmeisterrang kümmern, weil IM der höherrangige Titel ist. Ich persönlich führe den Großmeistertitel seit September 1993, und IM bin ich im Februar 2002 geworden.

R.GRALLA: Ihre sportlichen Ziele für die Zukunft? Noch mal Weltmeister?
F.LINDEMANN: Den WM-Titel zweimal zu gewinnen, das ist bisher bloß zwei Personen gelungen. Das wäre sicher ein schönes Ziel. Wichtiger ist mir jedoch die Nachwuchsförderung, damit die Fackel des Dominosports in der hiesigen Finsternis weiter leuchten kann.

R.GRALLA: Das nach der Weltmeisterschaft zweitwichtigste Domino-Turnier in Europa – und zwar noch vor der EM (!) – ist der »Maria-Theresa-Cup«, Abkürzung: MTC, der zum ersten Mal im Spätsommer 2002 im schleswig-holsteinischen Hochdonn ausgespielt worden ist und Folgeturniere gesehen hat an so illustren Orten wie Hagenow/Mecklenburg-Vorpommern oder Schwarmstedt/Niedersachsen. Warum ist der MTC dermaßen wichtig? Und woher kommt überhaupt der Name »Maria-Theresa-Cup«?
F.LINDEMANN: Der »Maria-Theresa-Cup« ist tatsächlich das einzige Turnier, zu dem die Aktiven an einem Ort zusammenkommen, das heißt, hier findet ein Treffen verschiedener Spielergemeinden von Angesicht zu Angesicht statt. Zum Namen: Es gibt bei der FIDO die nicht-obligatorische »Mutter-Theresa«-Regel, und zwar als Gleichnis für Barmherzigkeit, und insofern des Inhalts, dass die Seite des Doppelsteins allein für Spielzüge verwendet wird, wenn mit denen tatsächlich auch gepunktet werden kann.
Bei der Einladung zum ersten »Maria-Theresa«-Cup hatte nun der Einladende »Maria« Theresa und »Mutter« Theresa verwechselt, so dass es zu der besagten Namensgebung gekommen ist. Und da uns solche Titel ohnehin im Herzen völlig gleichgültig sind, ist es bei dieser Namensgebung geblieben.

R.GRALLA: Wann und wo wird der diesjährige »Maria-Theresa-Cup« ausgetragen?
F.LINDEMANN: Vermutlich am 5. Juli 2014 in Sandstedt, einem in die Reihe illustrer Orte sich nahtlos einfügenden Platz an der Unterweser in der Nähe von Brake. Da wir keine großen Stadien oder Arenen benötigen, können wir auch kleinere Gemeinden mit unserer Anwesenheit wertschöpfend beglücken.

R.GRALLA: Ihr persönliches Ziel für den »Maria-Theresa-Cup« 2014?
F.LINDEMANN: Den Cup habe ich 2012 knapp verfehlt, als ich Zweiter wurde. Da mit dem Gewinn eine Wanderpokalvergabe verbunden ist und ich als aktuell Wohnungsloser – gegenwärtig habe ich keine feste Meldeadresse – nicht wüsste, wohin mit dem Ding bis zum nächsten Jahr, wäre unter diesen Umständen ein Gewinn kein erstrebenswertes Ziel. Dennoch reizt mich der Cup natürlich, und ich könnte den Pott ja auch bei Freunden deponieren.

 

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